„Nach Canossa gehen wir nicht“ Ausspruch des Reichskanzlers, Fürst Otto von Bismarck, am 14. Mai 1872 vor dem dt. Reichstag. Er markiert den Beginn des Kulturkampfes, einer Zeit schwerer Auseinandersetzungen der Reichsregierung mit der römischen Kurie. Der Ausspruch fiel in einer Antwort auf eine Anfrage des nationalliberalen Fraktionsführers im Reichtag Rudolf von Benningsen. Hintergrund: Der deutsche Kurienkardinal Gustav Adolf von Hohenlohe – Schillingsfürst war Gegner des 1870 verkündeten Unfehlbarkeitsdogmas und der Jesuiten, die damals die Kurie beherrschten. Er war quasi zur persona non grata geworden und es wurde ihm 1870 auch erlaubt sich aus Rom nach Deutschland zurückzuziehen Traditionell war die zuerst preußische, dann norddeutsche und nun kaiserliche Gesandtschaft beim hl. Stuhl von einem Protestanten besetzt. Nach langer Vakanz hat Bismarck ausgerechnet den in Rom in Ungnade gefallenen Kurienkardinal von Hohenlohe – Schillingsfürst zum neuen Gesandten ernannt. Prompt wurde ihm am 2. Mai 1872 das Agrément verweigert. Offizielle Begründung: Man hielt dieses diplomatische Amt mit seiner römischen Würde für unvereinbar. Nun war Berlin beleidigt. Man argumentierte, dass die Ernennung des Kardinals ein Entgegenkommen gegenüber der Kurie sei. Die Verweigerung des Agrément wurde in Deutschland als Affront gegen die Reichsregierung und kaiserliche Majestät aufgefasst.
In jener Reichstagssitzung vom 14. Mai ging es um den Haushalt des Auswärtigen Amtes. Benningsen hat angeregt die Gesandtschaft beim hl. Stuhl ganz aufzulassen, da er der Meinung war, dass der Papst, nach der Einverleibung des Kirchenstaates in das Königreich Italien, kein Staatsoberhaupt mehr war. Bismarcks historisches Wissen war nicht sehr ausgeprägt, die Geschichte Heinrich IV und seine Auseinandersetzung mit Gregor VII. dürfte er allerdings gekannt haben. Wenn nicht wurde er kurz vor der Debatte durch die Baronin Hildegard von Spitzemberg, Gattin des württembergischen Gesandten in Berlin, mit der Angelegenheit vertraut gemacht. In ihrem Tagebuch notiert sie unter dem 22. Mai 1872: „Am Mittwoch brachte ich endlich meinen Giesebrecht (Friedrich Wilhelm Benjamin Giesebrecht 1814 – 1889, deutscher Historiker) zu Ende, der mich aufs lebhafteste interessiert und angesprochen hat. Besonders Heinrichs IV. Geschichte interessierte mich sehr….In der letzten Reichstagssoiree sprach ich mit Bismarck über Heinrich IV., speziell die Szene zu Canossa, so daß ich mich als moralische Veranlassung seines so großen Beifalls gehabten Wortes ansehen kann: Nach Canossa, meine Herren, gehen wir nicht.“ O, v. BISMARCK, Gesammelte, Werke, 11. Bd. (1929), 270: „Ich begreife, daß bei dieser Budgetposition der Gedanke entstehen kann, daß die Kosten für diese Gesandtschaft nicht mehr erforderlich seien, weil es sich nicht mehr um einen Schutz deutscher Untertanen in den betreffenden Landesteilen handelt. Ich freue mich aber doch, daß ein Antrag auf Absetzung dieser Position nicht gestellt ist, denn er würde der Regierung unwillkommen gewesen sein … Es ist daher für das Deutsche Reich von wesentlichem Interesse, wie dasselbe sich zu dem Oberhaupte der römischen Kirche, welches diese, für einen auswärtigen Souverän so ungewöhnlich umfangreichen Einflüsse bei uns ausübt ‑ wie es sich auf diplomatischem Wege dazu stellt. Ich glaube kaum, daß es einem Gesandten des Deutschen Reiches nach den jetzt in der katholischen Kirche maßgebenden Stimmungen gelingen würde, durch die geschickteste Diplomatie, durch Überredung ‑ von komminatorischen Handlungen, wie sie zwischen zwei weltlichen Mächten vorkommen können, kann ja hier nicht die Rede sein ‑ aber ich will sagen durch Überredung einen Einfluß auszuüben, der eine Modifikation der von Sr. Heiligkeit dem Papste zu den weltlichen Dingen prinzipiell genommenen Stellung herbeizuführen imstande sein würde. Ich halte es nach den neuerdings ausgesprochenen und öffentlich promulgierten Dogmen der katholischen Kirche nicht für möglich für eine weltliche Macht, zu einem Konkordat zu gelangen, ohne daß diese weltliche Macht bis zu einem Grade und in einer Weise effaziert würde, die das Deutsche Reich wenigstens nicht annehmen kann. Seien Sie außer Sorge: Nach Kanossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig!“ Vgl. dazu etwa Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Berlin 16. Mai 1872 (11. Jg. Nr. 112) 2: Bei dem Posten für den Gesandten beim päpstlichen Stuhl erklärte der Abg. v. Bennigsen Namens der Kommissarien, daß sie denselben zu streichen verzichten wollten, wenn er von der Bundesregierung aufrecht erhalten würde; er glaube aber Angesichts des letzten Vorganges im Vatikan und im Interesse der Stellung des Staates zur Kirche nicht verhehlen zu dürfen, daß er und viele Mitglieder des Hauses den Posten für überflüssig halten. Der Redner glaubte dem Gefühl Ausdruck geben zu müssen, daß die Weigerung des Papstes, den von Sr. Majestät gewählten Kardinal als Botschafter zu acceptiren, nicht nur den Leiter unserer Politik, sondern auch das Oberhaupt des Deutschen Reiches selbst verletzt hätten, ‑ eine Erklärung, die zu lebhafter Zustimmung auf beiden Seiten des Hauses, zu großer Unruhe im Zentrum Veranlassung gab. Der Fürst Reichskanzler gab seine Befriedigung darüber zu erkennen, daß man einen Antrag auf Streichung nicht gestellt habe, und entwickelte unter oft stürmischem Beifall seine Ansicht, wie sich Deutschland zu dem päpstlichen Stuhl zu stellen habe. Konkordate möge man nicht befürchten: Seien Sie ohne Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig, ‑ Worte, welche lebhaften Beifall hervorriefen. Der Fürst stellte die Regelung der kirchlichen und staatlichen Verhältnisse durch Reichsgesetzgebung in Aussicht und erklärte, daß er durch die ablehnende Antwort des Papstes ‑ein Fall, der während seiner 21jährigen diplomatischen Thätigkeit zum ersten Mal vorgekommen sei ‑ sich nicht entmutigen lassen werde, im Interesse unserer katholischen Mitbürger nach den Wegen zu suchen, welche den inneren Frieden herbeiführen könnten, und daß er deshalb auch ohne einer Empfindlichkeit Raum zu geben, fortfahren werde, dahin zu wirken, daß ein Vertreter für Rom, der beiden Theilen. genehm sei, gefunden werde .
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