Predigt anl. des Privilegienfestes 2021 im Dom zu Speyer. Zelebrant Dr. Norbert Weis
Die Synode von Sutri 1046
Wer anlässlich der Lichtermesse etwas zur Salischen Geschichte sagen will, der prüft zunächst einmal, ob es im gegenwärtigen Jahr ein mehr oder weniger rundes Jubiläum eines historisch bedeutsamen Ereignisses aus der Salierzeit gibt.
Nun wirft vom nächsten Jahr her ein Ereignis seinen Schatten voraus, das sowohl was die runde Zahl anbelangt wie auch was das historische Gewicht betrifft, nämlich das Jubiläum „900 Jahre Wormser Konkordat“, das diesjährige Jubiläum als weniger bedeutend erscheinen lässt: 975 Jahre Synode von Sutri
Aber die Synode von Sutri im Jahre 1046 gehört unlösbar hinein in die Kette der Ereignisse, die schließlich im Jahre 1122 zum Wormser Konkordat führten.
Als ich in den 60-ger Jahren Schüler des heutigen Kaiserdom-Gymnasiums war, stand in unserem Geschichtsbuch ziemlich lapidar: 1046 Synode von Sutri; Kaiser Heinrich III. setzt drei rivalisierende Päpste ab und setzt den Bischof von Bamberg als Papst Clemens II. ein.
Nun, so einfach lagen die Dinge tatsächlich nicht. Jeder der drei war auf unterschiedlichem Wege und mit unterschiedlicher Motivation in diese Position gekommen. Und auch der Status eines jeden war zum Zeitpunkt der Synode recht unterschiedlich. Es ist auch nicht so, dass Heinrich III. gleichsam mit einem einzigen Schwertstreich am 20. Dezember 1046 ein wirres Knäuel wie einen Gordischen Knoten durchschlagen hätte. Von allen in diesem Knäuel involvierten Personen aber gilt, was Friedrich Schiller in der Vorrede zu seinem Drama „Wallenstein“ so formuliert, hat: „Durch der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ (Schiller, Wallenstein V 103-104)
Zeitgeschichtlich bedeutsamer Hintergrund der Synode von Sutri ist die kirchliche
Reformbewegung, die im Jahrhundert zuvor von der Benediktinerabtei Cluny ausgegangen war. Deren Ziel war zunächst eine innerklösterliche Erneuerung im Hinblick auf Mönchsregel, Disziplin, Askese, Frömmigkeit, Liturgie. Dazu bedurfte es der Freiheit von weltlicher Aufsicht, von äußeren Interessen und von politischer Einflussnahme, konkret verwirklicht in der Freiheit der Abtwahl. Die Reformbewegung überschritt aber sehr rasch den klösterlichen Bereich und erfasste das gesamte kirchliche Leben, jedoch mit geografisch und zeitlich unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Ein frühes Ziel war die Beseitigung der Priesterehen. Zunächst motiviert durch das Bestreben, die innerfamiliäre Vererbung von Kirchengut zu unterbinden, was auch den Kaisern als obersten Lehensherren ein Anliegen war, nahm diese Zielsetzung rasch Fahrt auf durch die hinzutretende und schließlich allein bestimmend gewordene spirituelle und moralische Motivation zur Beseitigung der Priesterehen.
Die zweite Stoßrichtung wandte sich gegen die Simonie, die Vergabe kirchlicher Ämter gegen Geld oder „geldwerte Vorteile“. Diese Stoßrichtung wurde so bestimmend, dass sie gelegentlich geradezu hysterische Züge annehmen konnte. Ein an sich schwerer Missstand, der aber generationenlang kein Aufsehen erregt hatte, wurde nun innerhalb kurzer Zeit zum absoluten Feindbild. Mit dem Stichwort „Simonie“ konnte man jeden missliebigen Inhaber eines kirchlichen Amtes in die Enge treiben oder seines Amtes entheben, denn Simonie bei der Amtsübernahme führte zu Absetzung und Amtsverlust. Selbst Kaiser Konrad II. wurde von Zeitgenossen unter die Simonisten eingereiht, weil er nach der Verleihung von Bischofssitzen wie bei der Vergabe weltlicher Lehen das im Rahmen des Lehenswesens rechtlich vorgesehen „Servitium Regale“ – ein Beitrag für die Bedürfnisse des Reiches einforderte.
War für Konrad II. die Unterstützung der kirchlichen Reformbewegung vielleicht noch überwiegend Staatsraison, so war sie für seinen Sohn Heinrich III. ein eigenes religiöses Herzensanliegen, zumal seine Gemahlin Agnes von Poitou aus der Familie der Herzöge von Aquitanien kam, die im Jahre 910 das Kloster Cluny gestiftet hatten.
Wie sah es nun in Rom aus, als Heinrich III. im Spätherbst 1046 nach Italien aufbrach? Dort war 14 Jahre zuvor, am 28. April 1032, Papst Johannes XIX. gestorben. Wie sein Vorgänger Benedikt VIII. entstammte er der Römischen Adelsfamilie der Tuscolaner. Während Benedikt VIII. zusammen mit Kaiser Heinrich II. mehrere Reformsynoden abgehalten hatte, war Johannes XIX. eher desinteressiert an religiösen Angelegenheiten. Er hatte aber strukturell und organisatorisch einiges in Ordnung gebracht. Sein Nachfolger wurde im August oder September 1033 sein Neffe Theophylaktus mit dem Namen Benedikt IX. – also zum dritten Mal in unmittelbarer Folge ein Tuscolaner. Das rief die gegnerische Familie der Crescentier auf den Plan. Im Herbst 1044 gelang es ihnen, Benedikt IX. nach etwa elfjähriger Amtszeit zu vertreiben und im Januar 1045 die Wahl eines ihrer Parteigänger durchzusetzen, des Bischofs Johannes von Sabina, der den Namen Silvester III. annahm. Mit Benedikt IX., dem Tuscolaner, und Silvester III., dem Crescentier, haben wir nun zwei der drei auf der Synode von Sutri in Frage stehenden Personen identifiziert. Jedoch schon zwei Monate nach seiner Wahl kehrte Silvester III. aufgrund eines gegen ihn in Rom angezettelten Aufstandes Anfang März 1045 wieder als Bischof Johannes in seine
Bischofsstadt Sabina zurück und Benedikt IX. amtierte ab dem 10. März 1045 wieder als Papst in Rom. Doch wurde die Lage für ihn rasch so brisant und bedrohlich, dass er bereit war, zurückzutreten. Zum Papst erwählt wurde nun der Erzpriester Johannes Gratianus von San Giovanni a Porta Latina, der der Taufpate Benedikt IX. war. Er nannte sich Gregor VI. Damit haben wir nun die dritte auf der Synode von Sutri in Frage stehenden Personen identifiziert. Gregor VI. galt als persönlich fromm und als überzeugter Anhänger der Reformbewegung. Seine Wahl wurde allenthalben begrüßt, auch von Heinrich III. Auf seinem Zug durch Italien im folgenden Jahr 1046 hielt Heinrich III. in Pavia eine Synode ab, auf der wieder einmal die Simonie und die Priesterehe verurteilt wurden. Auf dem Weiterzug trafen Heinrich III. und Gregor VI. in Piacenza zusammen, wo die Einzelheiten bezüglich der für das kommende Weihnachtsfest 1046 in Rom vorgesehenen Kaiserkrönung besprochen wurden. Alles schien in Ordnung.
Doch dann fiel das Stichwort „Geld“. Der Kirchenhistoriker Friedrich Kempf, der in der 10bändigen von Hubert Jedin edierten Kirchengeschichte diese Epoche bearbeitet hat, stellt das, was nun geschah, so dar: Wie erwähnt, war Benedikt IX. im Frühjahr 1045 aufgrund seiner schwierigen Lage zum Rücktritt bereit. Er verband jedoch damit die Bedingung, irgendjemand müsse ihm die Kosten erstatten, die seine Wahl und Amtseinführung verursacht hatten und die er bisher noch nicht wieder hatte erwirtschaften können. Er beriet sich darüber mit seinem Taufpaten dem Erzpriester Johannes Gratianus, und dieser bemühte sich, das Geld aufzutreiben. Schließlich wurde das Geld zur Verfügung gestellt von einem getauften Juden Baruch, nach seiner Taufe Benedikt, und so trat Benedikt IX. zurück und am l. Mai 1045 wurde sein Taufpate Johannes Gratianus mit breiter Zustimmung und großem Einvernehmen Papst als Gregor VI. Sein Papstamt verdankte er also gewissermaßen dem Rücktritt von Benedikt IX. Und für die Ermöglichung dieses Rücktrittes hatte er das Geld besorgt. Er hatte es nicht selbst bezahlt, aber vielleicht hatte er sich – eventuell zusammen mit einigen anderen — verpflichtet, es dem Baruch zurückzuzahlen, denn dessen Geld war vermutlich keine Schenkung sondern ein Darlehen.
Die Situation war schon für die Zeitgenossen undurchschaubar und offen für alle möglichen
Spekulationen, die dann auch zu Heinrich III. gelangten. Offenbar auf dem Weg zwischen Piacenza und Rom entschloss sich Heinrich, die Situation zu bereinigen. Rom selbst war als Ort dafür ungeeignet wegen der Zersplitterung und Unentwirrbarkeit der vielfältigen widerstreitenden Interessen
Fünf Tage vor Weihnachten, am 20. Dezember 1046, brachte er nördlich von Rom in Sutri eine Synode zustande, die Silvester III. und Gregor VI. für abgesetzt erklärte. Silvester III. gilt ohnehin als Gegenpapst, so dass seine Absetzung keine kirchenrechtlichen Interpretationsprobleme bereitet. Die Absetzung Gregors VI. wurde dann in der Folgezeit dargestellt als ein mehr oder weniger erzwungener Rücktritt, in den er selbst letztendlich doch persönlich eingewilligt habe. Benedikt IX. war in Sutri nicht anwesend, so dass nach mittelalterlichem Rechtsverständnis nicht über ihn verhandelt werden konnte. Seine Absetzung erfolgte am 23. Dezember nach der Ankunft Heinrichs in Rom. Nachdem nun auf jeden Fall der Stuhl Petri vakant war, wurde auf Betreiben Heinrichs am 24. Dezember 1046 der in seiner Begleitung befindliche Bischof von Bamberg Suidger von Morsleben und Hornburg zum Papst gewählt, der dann als Papst Clemens II. am folgenden Tag, dem 25. Dezember, Heinrich zum Römischen Kaiser krönte.
War nun die Synode von Sutri der große chirurgische Eingriff in die mittelalterliche Papstgeschichte?
Silvester III. hatte schon seit weit über einem Jahr keinen Anspruch mehr auf den Papstthron erhoben und war als Bischof Johannes in sein früheres Bistum Sabina zurückgekehrt. Benedikt IX. war ebenfalls bereits vor fast 2 Jahren zurückgetreten, nachdem seine finanzielle Bedingung erfüllt war. Gregor VI. war inzwischen allgemein als alleiniger Papst anerkannt. Es schien also alles in Ordnung — kein Handlungsbedarf, bis im November 1046, vielleicht sogar erst im Dezember, simonistische Gerüchte und Verdächtigungen Gegen Gregor VI. in Umlauf kamen. Was motivierte also Heinrich III. zu seinem Eingriff? Waren es religiöse Gründe? War es die Sorge um Kirche und Papsttum? Eine nachträgliche rechtliche Aufarbeitung von Zuständen, die sich faktisch schon erledigt hatten? Es ist wohl den Autoren Lenelotte Möller und Hans Ammerich in ihrem Werk „Die Salier“ zuzustimmen, dass das vorrangige Motiv Heinrichs III. darin bestand, dass er von einem unbezweifelbar legitimen Papst zum Kaiser gekrönt werden wollte, nicht von einem, dessen Rechtmäßigkeit wegen Simonie in Zweifel gezogen werden konnte und der deswegen eventuell später sein Amt verlieren würde, so dass schließlich auch die Gültigkeit der Kaiserkrönung anfechtbar werden könnte. Denn wer durch Simonie ins Amt gekommen war, hatte es zu keiner Zeit rechtswirksam inne, seine Amtshandlungen waren ungültig, auch wenn er erst viel später seines Amtes enthoben wurde.
Benedikt IX. und Silvester III. waren nun schon seit etlichen Monaten von der Bildfläche abgetreten. Sie konnten bleiben, wo sie waren. Aber Gregor VI.? Auch wenn die stadtrömische Stimmung dem neuen Papst Clemens II. durchaus positiv gegenüberstand, so war doch zu bedenken, dass Stimmungen anfällig sind und leicht kippen können, vielleicht aus einem ganz geringfügigen Anlass, so dass die Römer sich wieder auf die Seite Gregors VI. schlagen könnten. Deshalb musste Gregor VI ins Exil, möglichst weit weg — nach Köln.
Nach meiner Auffassung besteht die bleibende Bedeutung der Synode von Sutri darin, dass sie die Wahl Clemens II. ermöglichte und dass sie mit Clemens II. und den darauffolgenden Päpsten wieder ein universales, religiös orientiertes Verständnis des Papsttums eröffnete und das Papsttum definitiv und ein für alle Mal den Renken, Intrigen und Machtspielen gewaltbereiter und oft auch gewalttätiger unter sich verfeindeter stadtrömischer Adelsfamilien entzogen hat.
Nun hatte aber die kirchliche Reformbewegung noch ein drittes Ziel: die Freiheit und Unabhängigkeit von jeder Einflussnahme weltlicher Gewalt bei der Übertragung aller kirchlichen Ämter. Dieses dritte Ziel wurde offensichtlich von Heinrich III. noch nicht wirklich wahrgenommen. Das hatte wohl zwei Gründe: Aufgrund seines durch und durch sakralen Amtsverständnisses stand es für ihn außer Frage, dass es ihm als von Gott eingesetzter Autorität zustand, ja sogar heilige Pflicht war, die in seinen Augen geeigneten Kandidaten in kirchliche Ämter zu bringen. Die kirchlichen Positionen in dieser Hinsicht waren während der Regierungszeit Heinrichs III. noch relativ schwach gegenüber der staatlichen Macht, so dass dieses Reformziel auch bei strikt kirchlichen Vertretern der Reformbewegung vorerst mehr nur Desiderat als realistisches Ziel war. Aber gerade die von Heinrich III. eingesetzten reformorientierten Bischöfe und vor allem die von ihm lancierten Päpste deutscher Herkunft und die von diesen wiederum herangebildeten und herangezogenen Theologen, die dieses dritte Reformziel dann auch noch theologisch argumentativ untermauerten, führten in der nächsten Generation dazu, dass sich das Reformziel „freie kirchliche Investitur aller Kirchenämter“ in seiner ganzen Breite entfalten und mit wachsendem Druck und einer gewissen Hartnäckigkeit behaupten konnte, bis es schließlich zum realen Verlust fast aller Rechte der kaiserlichen Seite bei der Besetzung kirchlicher Ämter führte, wie es schließlich im Wormser Konkordat 1122 niedergelegt wurde. Doch das ist wohl das Thema für das nächste Jahr.