Predigt zum Privilegienfest 2023, Zelebrant Dr. Georg Müller

Per me reges regnant.

Zum Verständnis von Amt und Gottesbezug

In den zurückliegenden Monaten hat es zwei große Ereignisse gegeben, mit denen das Verständnis von Amt, Verantwortung in der Leitung eines Staates und Regierungsform zeitweise ganz in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt sind: Zum einen die Beerdigung von Königin Elizabeth II. dann die Krönungsfeierlichkeiten von König Charles III. in der Westminster Abbey im Mai dieses Jahres. Eine Predigt am Privilegienfest kann daran eigentlich nicht vorbeigehen. (vielleicht geht das aber auch nur mir so, weil ich anglophil bin und der Monarchie eine Menge abgewinnen kann).
Es geht mir dabei in meiner Predigt aber nicht um eine vergleichende Analyse von Regierungsformen. Und auch nicht darum, wie der/ die Einzelne rational oder emotional zu Monarchie und Königtum oder noch konkreter zur englischen Monarchie steht. Das ist in das Belieben des Einzelnen gestellt.
Es ist ja ohnehin auch so, dass die Monarchie des Mittelalters in einer ganz anderen Weise Macht und Regierungsgewalt hatte, als das in den heutigen oft konstitutionellen Monarchien normalerweise der Fall ist.
Worum es mir geht, sind sich durchziehende rote Linien, die wichtig sein können für ein rechtes Verständnis von Amt und Machtausübung, unabhängig vom System. Und dies trifft auch nicht nur für weltliche Machtausübung zu, sondern auch für das geistliche Amt in der Kirche. Dabei schaue ich zum einen auf die Selbsteinschätzung (das ist verbunden mit der Frage nach der Demut), zum anderen aber auf die Grenzen der Machtverbunden und den Gottesbezug.
Die Krönung in Westminster hat eindrucksvoll gezeigt, dass sich auch der englische Monarch in ungebrochener Tradition immer noch versteht als von Gott her bemächtigt, auch wenn im bestehenden politischen System Großbritanniens längst andere die reale Macht ausüben.
Es gehörte ebenso Mut wie Traditionsbewusstsein dazu, einen der zentralen Teile der Krönung, nämlich die Salbung des neuen Königs, bei der Fernsehübertragung nicht zu zeigen, weil dies ein Moment allein zwischen Gott und dem Monarchen ist. In der Salbungsformel wird aber deutlich: Es geht hier nicht um eigene Macht und Vollkommenheit. Der Erzbischof von Canterbury spricht:
And as Solomon was anointed king by Zadok the priest and Nathan the prophet, so may you be anointed, blessed, and consecrated King over the peoples, whom the Lord your God has given you to rule and govern
Schon zur Zeit der Ottonen trugen die mittelalterlichen Herrscher auf der um das Jahr 1000 geschaffenen Reichskrone des Heiligen Römischen Reichs das alttestamentliche Zitat Per me reges regnant ,Durch mich regieren die Könige“ (Buch der Sprichwörter 8, 15). Sicher, ein Verweis auch auf das Verständnis eines Gottesgnadentums ihrer Träger-Es war aber dadurch gleichzeitig völlig klar, dass diese Macht nur geliehen und auf Zeit verliehen war. Für den jeweiligen Herrscher gab es Verantwortung gegenüber einem höheren Herrscher, Gott.
Ein Monarch, der meinte, niemandem verantwortlich zu sein und sozusagen tun und lassen zu können, was er wollte, wie es sich bei manchem absolutistischen Fürsten dann gezeigt hat, verletzt eines der Grundgesetze der Ausübung von Macht und christlichem Verständnis von Verantwortung. Dies übrigens unabhängig vom jeweiligen politischen System.
Auch der demokratisch gewählte Herrscher ist sich nicht Selbstzweck, kommt nicht für sich ins Amt, sondern hat denen zu dienen, die ihn in dieses Amt gewählt haben — und auch denen, die ihn nicht gewählt haben. Auch hier eine Selbstbescheidung, die nicht mehr darin zum Ausdruck kommt, dass man sich von Gott her installiert weiß, aber doch ein Wissen darum, dass hier ein Auftrag gegeben ist, der mich einerseits überfordern kann, dem ich anderseits aber immer auch verantwortlich bin. Die Tatsache, gewählt und damit Repräsentant zu sein, berechtigt mich nicht zu einem Handeln, das sich nicht mehr selbst hinterfragen muss. Wie sehr beachten unsere demokratisch legitimierten Mächtigen und die heutigen Formen gesellschaftlicher Machtausübung diesen Grundsatz? Dazu gehört auch ein gutes Maß an Demut und Selbstbescheidung.
Damit bin ich bei den Grenzen der Machtausübung: Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass auch die mittelalterlichen christlichen Herrscher diese nicht immer beachtet haben, oder Päpste, so wenig wie Machthaber heutzutage. Es geht nicht um Demokratieverdrossenheit oder Politikerschelte. Es geht um das Wahrnehmen der Grenze, und die Frage, wie sie gezogen wird. Papst Benedikt bezog sich bei seiner Rede vor dem deutschen Bundestag 2011 auf König Salomo
Im ersten Buch der Könige wird erzählt, dass Gott dem jungen König Salomon bei seiner Thronbesteigung eine Bitte freistellte. Was wird sich der junge Herrscher in diesem Augenblick erbitten? Erfolg Reichtum — langes Leben Vernichtung der Feinde? Nicht um diese Dinge bittet er. Er bittet: , Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht“ (l Kön 3,9). Die Bibel will uns mit dieser Erzählung sagen, worauf es für einen Politiker letztlich ankommen muss Sein letzter Maßstab und der Grund für seine Arbeit als Politiker darf nicht der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn sein. Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen.
Recht und Gerechtigkeit sind Namen Gottes, schon im AT. Politik als Mühen um Gerechtigkeit braucht, um mit Ignatius zu sprechen, die Unterscheidung der Geister. Man braucht eine Richtschnur, die im letzten nicht von einem selbst kommt, Voraussetzungen, die ich nicht selbst gemacht habe. Die christlichen Herrscher fanden dies im Wort und Gebot Gottes. Bei der Presentation of the bible wird dem englischen König gesagt:
Sir: to keep you ever mindful of the law and the Gospel of God as the Rule for the whole life and government of Christian Princes, receive this Book, the most valuable thing that this world affords.
Papst Benedikt hat im dt. Bundestag zurecht darauf hingewiesen, dass unsere heutigen Ideen von Menschenrecht, Gleichheit aller Menschen vor dem Recht und die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie „das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln“ von der Überzeugung eines Schöpfergottes her entwickelt wurden.
Gott allein ist der Schöpfer und Herr über Mensch, Schöpfung und Zeit. Herr auch über unser aller Leben. Herr über alle, die Macht haben und ausüben. Mögen sie ihrer Verantwortung ebenso eingedenk sein wie der Tatsache, dass die Macht nicht von ihnen selbst kommt und sie sich für ihr Handeln rechtfertigen müssen, und sie sich mühen um Gerechtigkeit und Frieden. Amen.